Klinik: Schwangerschaftsabbruch

„Für den Papst bin ich ein Auftragsmörder“

In der Kontext-Ausgabe 458 berichteten wir im Artikel „Arbeiten in der Tabuzone“ zum Thema Schwangerschaftsabbruch auch über die Klinik Stapf, die 2015 nach 24 Jahren wegen massiver Hetzkampagnen der AbtreibungsgegnerInnen keine Räume mehr fand, um ihre Arbeit in Stuttgart fortführen zu können. Heute führt der  Arzt Friedrich Stapf eine Privatklinik für Schwangerschaftsabbruch in München-Freiham, einem neuen Viertel am Stadtrand. Die Klinik auf etwa 400 Quadratmetern im zweiten Stock eines Gesundheitszentrums, das direkt an der S-Bahn-Haltestelle steht, ist hell, modern und macht einen freundlichen Eindruck. Friedrich Stapf (74) wirkt müde, spricht schnell und ohne Unterbrechung.

Herr Stapf, Sie mussten unser Interview kurzfristig verschieben, weil Sie sich um einen besonderen Notfall kümmern mussten.

Ja, es handelt sich um eine Frau, die vor ein paar Jahren eine sehr komplizierte, schwere Geburt hatte und bei der kurz danach eine Krebserkrankung diagnostiziert wurde. Die Frau wurde zwar wieder gesund, aber leidet seitdem unter Angststörungen. Sie hatte panische Angst, schwanger zu werden. Als es dann unglücklicherweise doch passierte, musste sie psychologisch behandelt werden. Sie kann das Kind nicht austragen. Eigentlich ist das ein Fall für die medizinische Indikation. Aber kein Krankenhaus hier will den Abbruch machen. Dem Kind ginge es ja gut, sagen die. Aber das ist eine völlige Sinnentstellung der medizinischen Indikation, die ja dann greifen soll, wenn die körperliche oder geistige Gesundheit der Frau durch eine Geburt gefährdet würde. Die Krankenhäuser akzeptieren das aber nur, wenn die Frau vom Tode bedroht ist, was so gut wie nie vorkommt, oder ein schwerstbehindertes Kind geboren würde, das nicht lebensfähig ist.

Seit 2003 hat die Anzahl der ÄrztInnen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, bundesweit um mehr als 40 Prozent abgenommen. Worauf führen Sie die krassen Nachwuchsprobleme zurück?

In Berlin oder Hamburg gibt’s keinen Nachwuchsmangel, weil dort in den Krankenhäusern Abbrüche auch nach der Beratungsregel vorgenommen werden. So was ist dort Alltag. Wenn aber Krankenhäuser wie in Bayern oder Baden-Württemberg Abbrüche selbst mit medizinischer Indikation nur im absoluten Ausnahmefall machen und dementsprechend angehende ÄrztInnen in ihrer fünfjährigen Facharztausbildung hier so gut wie nie mit dem Problem der ungewollten Schwangerschaft konfrontiert werden, ja, dann sieht es düster aus. Obwohl der Schwangerschaftsabbruch ja eigentlich der häufigste Eingriff in der Gynäkologie ist. Dieses Szenarium ist nach wie vor problematisch: Wenn der Chefarzt – wie die gesamte Medizin – die Nase rümpft und damit ausdrückt: Schwangerschaftsabbruch, das gehört sich nicht. Wer lehnt sich da schon auf und sagt, ich möchte jetzt aber bei der Frau hier einen Abbruch machen.

Zeit Lebens setzen Sie sich für die Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ein. Was treibt Sie an?

Die heutigen angehenden ÄrztInnen werden – zum Glück, muss man sagen – nicht mehr mit den schrecklichen Zuständen konfrontiert, die meine Generation noch in den Krankenhäusern erlebt hat und wegen derer wir uns für die Liberalisierung des Abbruchs stark gemacht haben. Als ich Anfang der 1970er-Jahr Famulus in der Wiesbadener Frauenklinik war, sah ich ständig Frauen, die mit schwersten Komplikationen wegen illegaler Abbrüche eingeliefert wurden.

Wie groß ist die Chance, dass der Strafparagraf 218 endlich abgeschafft wird?

Im australischen Bundesstaat Queensland, in Kanada, in Neuseeland: Überall dort, wo eine Mehrheit von Frauen im Parlament sitzt, wurde die Strafbarkeit abgeschafft, und gerade dort geht die Zahl der Abbrüche zurück. Der Einfluss von erzkonservativen Katholiken ist hierzulande einfach immer noch zu groß. Für den obersten von ihnen, Papst Franziskus, bin ich ein Auftragsmörder, und selbst in den Fernsehräten hocken religiöse Überzeugungsaktivisten. Das ist ein echtes Problem.

Für alle Konservativen ist der Schwangerschaftsabbruch doch geradezu ein gefundenes Fressen. Es kostet ja nichts, wenn man ihn verbietet. Und man kann sich damit prima profilieren.

aus: https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/465/fuer-den-papst-ein-auftragsmoerder-6536.html

Griechenland: Klinik der Solidarität

Die „Klinik der Solidarität“ im nordgriechischen Thessaloniki wurde im Herbst 2011 von engagierten KollegInnen aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich gegründet. Die Ambulanz befindet sich in den Räumlichkeiten des Gewerkschaftsdachverbandes GSEE und wird von den behandelnden ÄrztInnen, KrankenpflegerInnen und TherapeutInnen selbstverwaltet geführt. Bis zu 100 PatientInnen nehmen täglich die Leistungen der Ambulanz (Allgemeinmedizin, Innere Medizin, HNO-Heilkunde, Dermatologie, Zahnmedizin, Orthopädie, Kinder- und Jugendheilkunde, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie) in Anspruch. Wegen fehlendem Versicherungsschutz und massiver Einsparungen im Gesundheits-system nimmt die Zahl der PatientInnen stetig zu. Zudem bietet die Ambulanz kostenlose Schutzimpfungen für Kinder an und verfügt auch über eine Apotheke, in der PatientInnen kostenlos Medikamente bekommen. Die Gesundheitsambulanz versteht sich als politisches Projekt und setzt sich neben der konkreten Arbeit in der Ambulanz auch aktiv gegen Gesundheits- und Sozialabbau, Rechtsextremismus und Rassismus ein.“ Siehe dazu die Homepage der Initiative Siehe dazu auch Ein Film über die solidarischen Kliniken in Griechenland braucht Unterstützung und hier zu den Kliniken u.a. auch in Athen:

  • [Offener Brief] Gegen Versuch der Zwangsräumung der Sozialklinik Helliniko in Athen! Für ein Ende der lebensbedrohlichen Sparmaßnahmen gegenüber Griechenland!
    Zum zweiten Mal in wenigen Jahren ist die Metropolitan Community Clinic at Helleniko in Athen von einer Zwangsräumung bedroht. Die Klinik soll bis zum 15. März die Räumlichkeiten auf dem alten Flughafengelände im Athener Süden verlassen. Und das trotz gegenteiliger, schriftlicher Versicherungen der staatlichen Institutionen nach dem ersten Räumungsversuch und den darauffolgenden europaweiten Protesten im Jahr 2018. Die Folgen wären katastrophal, denn noch immer stellen die solidarischen, selbstverwalteten Kliniken für viele Menschen in Griechenland die einzige Möglichkeit dar, die notwendigen Medikamente oder Babynahrung zu erhalten. Die neue griechische Regierung unter dem Ministerpräsidenten Mitsotakis hat außerdem nicht-registrierten Geflüchteten den Zugang zu öffentlicher Gesundheitsversorgung wieder entzogen. Diese Menschen sind auf die solidarischen Initiativen im Gesundheitsbereich angewiesen. Wir, die Erstunterzeichnenden dieses Offenen Briefes sowie zahlreiche solidarische Menschen in ganz Europa, stellen uns wie schon im Mai 2018 entschieden gegen den Versuch, die solidarische Klinik Helliniko zu räumen. Mit diesem Offenen Brief unterstützen wir deshalb die Forderung der Klinik Helliniko nach angemessenen Räumlichkeiten, die kostenlos und selbstverwaltet genutzt werden können…” Offener Brief gegen die drohende Räumung der Solidarischen Praxis in Elliniko/Athen, den Mirko Broll vom Forschungsprojekt “Transnationale Praktiken der Solidarität” der Uni München initiiert hat. Die Sozialklinik Elliniko soll bis zum 15. März ihre Räumlichkeiten verlassen und es gibt bislang keine Alternative. Die Solidarität dieser Praxen werden angesichts der aktuellen Entwicklungen sehr bald wieder von großer Bedeutung sein. Der vdää wird den Brief als Organisation unterzeichnen und sammelt auch Unterschriften von Einzelpersonen (gerne auch mit Titel und Organisation, die Ihr/Sie vertreten): info@vdaeae.de und/oder Mirko.Broll@soziologie.uni-muenchen.de

aus: https://www.labournet.de/interventionen/solidaritaet/klinik-der-solidaritat/

Kriegsbündnis Nato

Die Prioritäten des Pentagon

Defender Europe 20: Hauptphase hat begonnen. US-Militär spielt atomaren Schlagabtausch in Europa durch.

BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Mit ersten größeren Truppenbewegungen hat in den vergangenen Tagen die Hauptphase des Verlegemanövers Defender Europe 20 begonnen. In den norddeutschen Städten Hamburg und Bremerhaven kamen Flugzeuge respektive Frachtschiffe mit satten Truppen- und Materialkontingenten aus den USA an; in Süddeutschland steht dies in den kommenden Tagen bevor. Erste Marschkolonnen haben sich in Bewegung gesetzt und inzwischen fast die polnische Grenze erreicht. Die Bundeswehr weist darauf hin, dass während des Manövers auch Maßnahmen zur Abwehr sogenannter Fake News durchgeführt werden. Vom deutschen Verteidigungsministerium empfohlene Websites zeigen, dass die Maßnahmen prinzipiell auch auf die Delegitimierung kritischer Positionen zielen und plumpe antirussische Propaganda beinhalten. Eine erst vor wenigen Tagen in den Vereinigten Staaten abgehaltene „Mini-Übung“ hatte laut Angaben des US-Verteidigungsministeriums einen Krieg mit Russland zum Gegenstand; dabei sei ein atomarer Schlagabtausch auf europäischem Territorium simuliert worden.

aus: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8201/

Feminizid

Wir trauern um Onalia Çendy

Die Frauenbegegnungsstätte UTAMARA und der Dachverband des Ezidischen Frauenrats verurteilen den Mord an Onalia Çendy. Die Dreißigjährige wurde von ihrem Ehemann in der eigenen Wohnung in Dortmund ermordet.

Am Dienstagabend ist die dreißigjährige Onalia Çendy im Beisein ihrer Kinder in ihrer Wohnung in Dortmund von ihrem Ehemann ermordet worden. Die Frauenbegegnungsstätte UTAMARA e.V. und der Dachverband des Ezidischen Frauenrats e.V. haben eine gemeinsame Erklärung zu dem Feminizid abgegeben:

Mit jeder Frau, die ermordet wird, geht ein Teil von uns mit ihr

Wir trauern um Onalia Çendy. Wir sind wütend. Wir werden nicht mehr sprachlos sein!

Jeden zweiten Tag wird in Deutschland eine Frau ermordet, jeden Tag kommt es zu einem Tötungsversuch. Ihre Namen, ihre Geschichten und ihre Gesichter tauchen nur in den regionalen Zeitungen auf und tragen meistens dieselbe Überschrift: Familientragödie oder Eifersuchtsdrama.

Es ist Zeit, die Realität beim Namen zu nennen: es sind Frauenmorde. Es sind Feminizide. Es ist strukturelle Gewalt gegen Frauen, die als solche nicht benannt wird. Von allen in Deutschland getöteten Frauen, 122 im Jahr 2018, stirbt fast die Hälfte durch die Hand des Mannes, der vorgibt, sie zu lieben: ihres Ehemanns oder Lebensgefährten. Oftmals stirbt die Frau in ihrem eigenen Zuhause.

Genauso war es bei Onalia Çendy. Sie ist 30 Jahre alt geworden und hinterlässt vier Kinder. Sie wurde in ihrer eigenen Wohnung durch den Ehemann, den Vater der Kinder, ermordet. Sie konnte sich in ihren eigenen vier Wänden nicht schützen.

Das soll keiner einzigen Frau widerfahren. Kein weiteres Kind soll seine Mutter verlieren. Wir sprechen den Angehörigen und allen Betroffenen unser herzliches Beileid aus. Wir versprechen, in diesen schweren Zeiten an ihrer Seite zu sein.

Gewalt hat viele Gesichter: es sind Schreie, Beleidigungen und Erniedrigungen, Druck und krankhafte Eifersucht, Schläge, Tritte, Folterung, Vergewaltigung, ständige Kontrolle, es ist finanzielle Abhängigkeit und Fremdbestimmung, Stalking und und und. Es ist diese Gewalt, die so vielen zuletzt auch das Leben entreißt. Und es ist eben diese Gewalt, die zu viele in den Selbstmord treibt. Es ist diese Gewalt, vor der zu viele die Augen schließen. Es ist diese Gewalt, gegenüber der wir nicht mehr sprachlos bleiben werden.

Wir Frauen dürfen keine Gewalt akzeptieren, nicht gegenüber uns und nicht gegenüber unseren Schwestern, Nachbarinnen und Freundinnen. Wir unterstützen uns auf dem Weg heraus aus der Gewalt. Wir bieten Schutz und helfen uns gegenseitig.

Männer müssen ebenso klar gegen jede Gewalt einstehen. Die Gewalt, die ihr jeden Tag ausübt, macht euch zu Mördern. Es sind keine Einzelfälle. In jeder Stadt müssten bereits Dutzende Gedenksteine stehen, die an all die Frauen erinnern, die ermordet wurden.

Weltweit stehen Frauen auf und rufen: Keine weitere!

Es ist Zeit, auch hier in Deutschland aufzustehen, um diese Gewalt zu beenden. Wir werden niemals vergeben und niemals vergessen, was dir angetan wurde, Onalia Çendy. Wir gedenken dir aufrichtig.

Wir gedenken aller Frauen, die durch patriarchale Gewalt ermordet wurden. In ihrem Namen führen wir unsere Bemühungen für ein demokratisches Zusammenleben und die Überwindung dieser patriarchalen Gewalt entschlossen fort.

aus: https://anfdeutsch.com/frauen/wir-trauern-um-olania-Cendy-17545

Atommüll: Castor-Transporte

Die Transportgenehmigung für die sechs Castorbehälter aus Sellafield liegt ab dem 1. März 2020 bis Ende des Jahres vor.

Die Strecke hat sich allerdings geändert. Nun ist davon auszugehen, dass der Zug mit seiner strahlenden Fracht von England zu einem deutschen Hafen und dann über Niedersachsen und NRW ins hessische Biblis fährt.

 

CASTOR-Alarm 2020? Hat sich da nicht jemand im Jahrzehnt vergriffen? Leider nicht. Für die Jahre 2020 bis 2024 sind vier Castor-Transporte geplant, bei denen hochradioaktiver Atommüll von Frankreich und Großbritannien nach Deutschland verschoben werden soll, ohne dass es ein Konzept für eine langfristige Lagerung gibt und geben kann. Jeder einzelne Transport stellt ein zusätzliches Risiko durch radioaktive Verstrahlung dar.

Für die breite Bevölkerung scheint der Atomausstieg 2022 beschlossene Sache zu sein. Ausstiegskonzepte beinhalten aber immer die Möglichkeit eines Ausstiegs vom Ausstieg. Die Anti-Atom-Bewegung fordert schon seit langem die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen weltweit. Doch sechs Atomreaktoren sind in Deutschland noch in Betrieb. Dazu kommen die Uranfabriken in Lingen und Gronau, die unbefristet weiter laufen sollen. Durch das gezielte Ausbremsen des Ausbaus erneuerbarer Energien und der Stromnetze, kommt die Energiewende nur schleppend voran. Im Windschatten der Klimakatastrophe versuchen die Befürworter*innen der mörderischen Atomenergie nun wieder in die Offensive zu kommen. Industrie und Politik arbeiten auf eine Laufzeitverlängerung der noch laufenden AKW hin – über die vorgesehenen Stilllegungsdaten hinaus. Auf dem Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs im Dezember 2019 wurde die Atomenergie als Beitrag zur Klimaneutralität ausdrücklich genannt. Aber die Atomenergie ist mit all ihren Gefahren für Mensch und Umwelt – vom Abbau des Urans über den Betrieb der Reaktoren bis zur nicht geklärten Atommüllproblematik – kein Beitrag zur Lösung der Klimakrise. Wie längst totgeglaubte Zombies taucht die Atomenergie nun aber wieder in der öffentlichen Diskussion auf.

aus: https://castorstoppen.noblogs.org/

#NoDEF20: Militärtransporte

DB-Flyer

„Neuer Flyer „DB – Hat mein Zug wieder Verspätung?“
Sollen wieder Räder rollen für den Sieg? Das hatten wir schon. Wir hoffen, dass der Flyer gut verteilt wird, an Bahnhöfen, in Zügen, bei den Nachbarn etc. Gedruckte Exemplare sind beim Bremer Friedensforum erhältlich. Nachdruck jederzeit empfohlen!“
Bremer Friedensforum

Kapitalistische Mythen: Konkurrenz

Konkurrenz oder Kooperation? Das ist die entscheidende Frage

Die Ansicht, der Mensch sei von Natur aus ein Wesen, das konkurrenzorientiert ist und seine beste Leistung in einer Konkurrenzsituation erzielt, erscheint als eine Gewissheit, die keines Beweises bedarf. Was aber sagt die Wissenschaft?

Das Belohnungszentrum des menschlichen Gehirns reagiert positiv auf Situationen und Eigenschaften, die der Natur des Menschen entsprechen, und versucht mittels Ausstoßes von Dopamin sicherzustellen, dass die entsprechenden Handlungen auch tatsächlich durchgeführt werden. Daher sollte eine Untersuchung des Belohnungszentrums Aufschluss darüber geben, ob der Mensch von Natur aus eher nach Konkurrenz oder Kooperation strebt.

Tatsächlich zeigen eine Reihe von Experimenten, dass das Belohnungszentrum bei menschlicher Kooperation aktiv wird, nicht aber in einer Konkurrenzsituation. Es ist nicht nur aktiv, wenn wir kooperieren, sondern auch wenn andere mit uns kooperieren.

Joachim Bauer, Professor für Psychoneuroimmunologie an der Universität Freiburg, resümiert daher:

Das natürliche Ziel der Motivationssysteme sind soziale Gemeinschaft und gelingende Beziehungen mit anderen Individuen.


Bereits ein Blick auf ein Neugeborenes spricht Bände. Bekanntlich kann ein Mensch nach seiner Geburt nur äußerst kurz Zeit alleine überleben. Die allererste und grundlegende Erfahrung des Menschen ist deshalb: Er muss unbedingt kooperieren, um zu überleben. Kooperation ist sein Lebensmodus. Das Verhalten einjähriger Kinder bestätigt zudem, dass der Mensch von Natur aus nach Kooperation strebt. Kleinkinder bevorzugen Personen, die sich kooperativ verhalten, und bringen ihnen mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung entgegen.

Auch das Verhalten des Kleinkindes steht im Zeichen von Kooperation. Matthieu Ricard, promovierter Zellgenetiker und weltbekannter buddhistischer Mönch, fasst den Forschungsstand wie folgt zusammen: Die „Verhaltensweisen der Kooperation und der selbstlosen Hilfe treten beim Kind spontan auf. Diese Verhaltensweisen treten sehr früh auf – im Alter von vierzehn bis sechzehn Monaten -, lange bevor die Eltern ihren Kindern die Regeln sozialen Verhaltens eingebläut haben und sie werden nicht durch äußeren Druck verursacht. In unterschiedlichen Kulturen treten sie zudem in der gleichen Altersstufe auf.“

Die Überzeugung, auf die der Kapitalismus aufbaut, der Mensch sei von Natur aus ein konkurrenzorientiertes Wesen, stellt sich somit als Mythos heraus. Bevor wir die Frage betrachten, ob die zweite Überzeugung des Kapitalismus, Konkurrenz sei der beste Motivator, tatsächlich mit der Wirklichkeit übereinstimmt, sei der Fokus hier kurz auf ein Thema gerichtet, das bei der Reflexion über das Wesen der Konkurrenz gerne leicht unter den Tisch fällt: Wie wirkt sich Konkurrenz auf die Psyche der Menschen aus? Insbesondere auf ihr Selbstwertgefühl, auf zwischenmenschliche Beziehungen?

Alle verlieren

Es bedarf keiner Erklärung, dass Niederlagen und Scheitern am Selbstwertgefühl nagen. Dies ließe sich vielleicht noch achselzuckend mit dem Hinweis ignorieren, es könne halt nur einen Sieger geben und die Spreu müsse vom Weizen getrennt werden, um die wirkliche Elite herauszufiltern. Erstaunlich jedoch, dass die Mutmaßung, Erfolg steigere das Selbstwertgefühl, alles andere als unbestritten ist. Tatsächlich ist die Beweislage in der wissenschaftlichen Forschung hierzu „enttäuschend schwach“. Hinzu kommt auch, dass hyperkompetitive Menschen „stark narzisstisch“ sind und über „ein geringes Selbstwertgefühl“ verfügen. Daher schreibt Alfie Kohn pointiert:

Konkurrenz ist für das Selbstwertgefühl wie Zucker für die Zähne.

Aus Mitmenschen werden Konkurrenten

Auch die zwischenmenschlichen Beziehungen sind durch die immer stärkere Präsenz der Konkurrenzsituation belastet. Im Alltag der Konkurrenz werden aus Mitmenschen Gegner, denn diese sind nichts anderes als Hindernisse zum eigenen Erfolg, die es zu überwinden gilt. Sei es in der Schule, in der Ausbildung, an der Universität oder bei der Arbeit.

Eine Übersicht zahlreicher Experimente und Studien sollte zu denken geben:

  • Konkurrenz erhöht das Misstrauen zwischen den Menschen und reduziert Empathie.
  • Konkurrenz erhöht die Aggressivität. Interessanterweise ist das Ergebnis dabei davon unabhängig, ob die Kindern den Sieg davontragen oder geschlagen werden.
  • Konkurrenz kann Kindern das Gefühl geben, nicht Herr des eigenen Schicksals zu sein.
  • Konkurrenz wird als frustrierend empfunden. Auch hier ist dies unabhängig vom Ergebnis. Dieses Paradox löst sich umgehend auf, wenn man berücksichtigt, dass der Wettkampf für Kinder als Bedrohung empfunden wird, weil immer auch die Ungewissheit des Ausgangs herrscht und stets eine Niederlage droht.
  • Konkurrenz stiftet Angst und Unsicherheit. Zum einen natürlich die Angst vor der Niederlage. Zum anderen aber paradoxerweise auch die Angst vor dem Sieg. (Beispiele von Sportlern, die im Angesicht des sicheren Sieges plötzlich versagen, gibt es viele – der berühmte „Wackelarm“ beim Tennis).

Alfie Kohn findet einmal eine pointierte Zusammenfassung:

Wenn wir zwischenmenschliche Beziehungen sabotieren wollten, hätte uns kaum etwas Besseres als Konkurrenz einfallen können.

All die aufgeführten und belegbaren Argumente gegen Konkurrenz könnten zumindest in gewisser Hinsicht aufgewogen werden, wenn sich zumindest ein Credo des Kapitalismus in der Wirklichkeit nachweisen ließe: dass die Konkurrenzsituation zu besseren Leistungen führe.

Ein grundlegender Gedankengang zeigt bereits auf, weshalb Konkurrenz in vielen Situationen gar nicht zur besten Leistung des Einzelnen führen kann. Die Motivation in der klassischen Konkurrenzsituation (die wir in verschiedenen Sportarten exemplarisch antreffen) ist extrinsisch. Ebenso die Zielsetzung. Der Psychologe Edward L. Deci (Universität Rochester) warnt daher, dass Menschen in einer Konkurrenzsituation der Frage, wie sie den anderen übertrumpfen und gewinnen können, vielmehr Aufmerksamkeit widmen als dem Streben nach einer bestmöglichen Lösung der Aufgabe.

So sicher die Gewissheit im Kapitalismus ist, der Mensch sei von Natur aus ein konkurrenzorientiertes Wesen und folglich am besten durch Konkurrenz zu motivieren, so sicher stellt eine genauere Analyse heraus, dass es sich hierbei schlicht um passende Mythen handelt. Aber es sind sehr mächtige Mythen, denn der Wettbewerbsgedanke erfasst immer mehr Bereiche des menschlichen Lebens. Besonders bedenklich hierbei der Wettbewerb zwischen Schulen, Universitäten und Krankenhäusern. Daher ist es von existentieller Wichtigkeit, die Rahmenbedingung in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, die heute fast ausschließlich auf Konkurrenz gestellt sind, zu überdenken und zu verändern, damit sie tatsächlich der Natur des Menschen entsprechen.

Der Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr von der Universität Zürich formuliert eine zentrale Erkenntnis: „Wenn der Glaube vorherrscht, dass die anderen kooperieren, dann ist die Kooperation jedes Einzelnen hoch; wenn der Glaube vorherrscht, dass die anderen nicht kooperieren, dann kooperiert tatsächlich keiner.“ Wir haben also die Wahl, ob wir der Kooperation, die der Natur des Menschen viel stärker entspricht als die Konkurrenz, Tür und Tor öffnen wollen, damit immer mehr Menschen kooperieren oder ob wir weiterhin auf Konkurrenz setzen und dadurch mögliche Kooperation zerstören.

aus: https://www.heise.de/tp/features/Konkurrenz-oder-Kooperation-Das-ist-die-entscheidende-Frage-4647091.html?seite=all

Radikalfeminismus

Radical feminism is a gift to men | Robert Jensen | TEDxRuhrUniversityBochum

https://www.youtube.com/watch?v=Mi5TG3E4rnE

In this passionate talk Robert Jensen challenges the common belief that feminism is a threat to men. He argues that there are arguments from both justice and self-interest to present to men when explaining the radical feminist position, especially in the context of a critique of the sexual-exploitation industries (prostitution, pornography, stripping). In his talk Jensen reflects on his own experiences with (radical) feminism and the role of that feminism in making possible a richer, more meaningful life.
Robert Jensen is Emeritus Professor in the School of Journalism at the University of Texas in Austin, author, founding board member of the Third Coast Activist Resource Center, and part of the team developing Ecosphere Studies at The Land Institute in Salina.

Kofra-Veranstaltung in München:
Kommunikationszentrum für Frauen zur Arbeits- und Lebenssituation e.V.
 
DAS ENDE DES PATRIARCHATS
Radikaler Feminismus für Männer
Vortrag von Prof. em. ROBERT JENSEN
Am 6. Juni von 16 – 18.00 Uhr
 
Radikaler Feminismus ist für Männer ein Geschenk. So die Aussage Robert Jensens, emeritierter Professor der School of Journalism der University of Texas/Austin. Männliche Dominanz werde durch permanente Konkurrenz, konfrontatives Verhalten, Machtdenken und Kontrollansprüche gegenüber Frauen aufrechterhalten. Die damit einhergehende Dehumanisierung, Entmenschlichung von Frauen zum bloßen Objekt männlicher sexueller Befriedigung entmenschliche letztlich auch den Mann. In einem System männlicher Dominanz müssen Männer ihre Männlichkeit immer wieder beweisen. Dies bedeutet einen Verlust an eigener Menschlichkeit. Robert Jensen zeigt, dass die Gesellschaftskritik radikaler Feministinnen diesen Kreislauf durchbricht. Männliche Dominanz und patriarchale Männlichkeitsvorstellungen müssen abgelegt werden, damit Männer ihre Fähigkeiten und Menschlichkeit erleben und entwickeln können. Das Ziel darin ist nicht, eine „neue Männlichkeit“ zu entwickeln, sondern den Mut zu zeigen, „Männlichkeit“ für eine gleichbe-
rechtigte und gerechte Gesellschaft hinter sich zu lassen. Jensen fordert damit einen radikalen feministischen Wechsel im Hinblick institutionalisierter Vorherrschaft von Männern und eine Zurückweisung von deren Behauptung, sie hätten ein Recht darauf, die weibliche Sexualität und Reproduktion zu kontrollieren. Er fordert ein Ende von Gewalt und Zwang als Basis aller Systeme von Unter- und Überlegenheit.
Jensen lehrte in Texas Medienrecht, Ethik und Politik. Er ist u.a. auch Mitglied von „Culture Refraimed“, dem Präventionsprojekt von Gail Dines gegen Pornografie.
 
weitere Veranstaltungen unter: http://kofra.de/layout/index.htm

Unfuckingfassbar: Welcome in der gestörten Warenwelt und der bekloppten Justiz

Kein Orgasmus: Freier verklagt Prostituierte

Winnenden/Waiblingen

Ein Mann hat in einem Winnender Hotel eine Prostituierte im Zimmer gehabt, hat sie bezahlt, hat auch ein paar Streicheleinheiten bekommen, aber nicht das, was er wollte und wofür er bezahlt hatte. Nach seinen Angaben kam es nicht zu einem Orgasmus. War es so? Ist das dann strafbarer Betrug? Dies war die Frage, die Richterin Figen Basoglu-Waselzada vor wenigen Tagen im Waiblinger Amtsgericht zur Entscheidung vorgelegt worden war. Die Antwort darauf zu finden, war indes nicht einfach, denn außer der Angeklagten und ihrem Kunden befanden sich am 20. März des vergangenen Jahres in dem Zimmer keine weiteren Personen, die über das Geschehen sachdienliche Angaben hätten machen können.

Richterin Basoglu-Waselzada führte souverän durch die Verhandlung. Sie erklärte, sie halte den Zeugen und seine Darstellung für glaubwürdig. Allein schon die Tatsache spreche für ihn, dass er sich der Befragung durch die Polizei und dieser Gerichtsverhandlung aussetze. Zudem habe er mit einfachen Worten und präzise beschrieben, wie er die Situation erlebt haben wollte. Staatsanwältin Schmidt schlug vor, das Verfahren gegen Zahlung von 500 Euro innerhalb von drei Monaten an „Brustkrebs e.V.“ einzustellen. Ein Angebot, das die Angeklagte nach Rücksprache mit ihrer Anwältin akzeptierte, mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass dies keine Verurteilung darstelle, und dass damit auch kein Schuldeingeständnis verbunden sei.

aus: https://www.zvw.de/inhalt.winnenden-waiblingen-kein-orgasmus-freier-verklagt-prostituierte.b9db7e84-26b3-48f1-bd30-8e079c0fb330.html?fbclid=IwAR3y74wSyJfUSXZl-WMMQPccDO3GuJVbRuysXShH1mPoYpkJ2KIlAKHsH5E

Chile: „Wir rufen alle Feministinnen auf, in erster Reihe gegen den Staatsterrorismus zu kämpfen“

Soziale Bewegungen in Chile fordern plurinationale und feministische Verfassung

Nachbarschaftsräte und feministische Gruppen wollen eine vom Volk ausgehende verfassungsgebende Versammlung

 

Die Nachbarschaftsversammlungen sind ein wichtiges organisatorisches Moment der anhaltenden Protestbewegung in Chile

Santiago de Chile. Im Innenhof der Universität von Santiago de Chile haben im Januar zwei große Treffen stattgefunden: Das Plurinationale Treffen der kämpfenden Frauen und das Treffen der Nachbarschaftsversammlungen. Etwa 5.000 Menschen nahmen insgesamt an den Zusammenkünften teil.

„Piñera soll sterben und nicht meine Freundin“, skandieren die Frauen am Wochenende vom 10. bis 12. Januar. Sie sind aus verschiedenen Teilen Chiles und aus 28 weiteren Ländern zusammengekommen, um über die politische Lage aus feministischer Perspektive zu sprechen und das politische Programm für den Frauenkampftag am 8. März vorzubereiten.

Am Samstagvormittag wurde über die feministische Bewegung während der aktuellen Proteste in Chile und zum verfassungsgebenden Prozess Bilanz gezogen. Nachmittags fanden Themengruppen unter anderem zu feministischer Bildung, Recht auf Wohnraum, Abtreibungsrecht, Migration und feministischem Internet statt.

Die 30-jährige Sindy Urrea ist aus dem etwa 1.500 Kilometer entfernten Chiloé zum Treffen angereist. „Wir sind hier, um Erfahrungen unter Feministinnen aus verschiedenen Territorien auszutauschen. Das ist sehr bereichernd und anschließend geben wir das an die Organisationen bei uns Zuhause weiter. Wir sind hier als Aktivistinnen, um gemeinsam Strategien zu entwickeln, damit unsere Forderungen umgesetzt werden.“

Das Treffen wurde begleitet von einem umfangreichen kulturellen Programm von feministischer Performance, Theater, Tanz und Musik. Auch wenn es eine Vielzahl verschiedener Meinungen bei dem Treffen gab, waren alle einig: Die neue Verfassung von Chile muss feministisch und plurinational sein.

Bevor es aber eine neue Verfassung geben kann, müssten zunächst einige Bedingungen erfüllt werden, lautete eine weitere Schlussfolgerung des Treffens. „Wir rufen alle Feministinnen auf, in erster Reihe gegen den Staatsterrorismus zu kämpfen“, sagte Alondra Carrillo, Sprecherin der Coordinadora Feminista 8 de Marzo, die das Treffen gemeinsam mit über 20 weiteren feministischen Organisationen organisiert hat. „Wir fordern ein sofortiges Ende der systematischen Menschenrechtsverletzungen. Piñera muss dafür politisch zur Verantwortung gezogen werden, und er sowie seine gesamte Regierung müssen gehen. Wir fordern außerdem eine unabhängige Gerechtigkeits- und Erinnerungskommission sowie die Freilassung aller politischen Gefangenen.“

Für die erste Märzwoche haben die Feministinnen in ganz Chile Proteste geplant und wollen so der Bewegung, die seit dem 18. Oktober das Land erfasst hat, einen neuen Schub geben. Der 2. März ist der sogenannte Super-Montag, an dem das neue Schuljahr und Semester beginnt und Proteste der Schülerschaft und Studierenden geplant sind. Es folgt der Frauenkampftag am 8. März und der produktive und reproduktive Streik am 9. März. Der 11. März ist der Tag, an dem Präsident Piñera vor zwei Jahren gewählt wurde und es sind Proteste gegen ihn und seine Regierung geplant. „Eine Frau, eine Barrikade“, ist der Kampfruf für März.

Auch beim Treffen der Nachbarschaftsversammlungen am 18. Januar, zu dem die Coordinadora de Asambleas Territoriales (CAT) aufgerufen hatte und an dem Vertreter von über 164 Versammlungen teilnahmen, waren sich alle einig, dass die Proteste weitergehen müssen. In Kleingruppen besprachen die Teilnehmenden ihre kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Forderungen. Zu dringenden Forderungen gehören die Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Akteure, die Garantie von sozialen Grundrechten, wie Bildung, Gesundheit Wohnen, Renten und Wasserversorgung. Die langfristigen Forderungen zielten auf einen Systemwechsel und ein Ende des Neoliberalismus.

Die 34-jährige Paula Araneda, die zur Asamblea Territorial Autoconvocada San Isidro-San Borja gehört, erklärte: „Für mich ist das Schönste dieses Prozesses, meine Nachbarn kennengelernt zu haben. Ich will, dass wir eine andere Gesellschaft aufbauen. Dabei geht es nicht nur um die neue Verfassung, sondern um einen tiefgreifenden sozialen Wandel, um Selbstverwaltung und Souveränität.“

Im März und April soll durch landesweite Proteste Druck auf die Regierung ausgeübt werden, damit der verfassungsgebende Prozess nicht von der politischen Elite gestaltet wird. Am 26. April wird darüber abgestimmt, ob es eine neue Verfassung geben und welche Art von Organ diese ausarbeiten soll, eine „gemischte Kommission“ aus 50 Prozent gewählten Bürgerinnen und Bürgern und 50 Prozent Abgeordneten, oder eine Verfassungskonvention gänzlich gewählt aus der Bevölkerung, bei der aber nur Mitglieder politischer Parteien infrage kommen.

Da das Abkommen für eine neue Verfassung am 15. November von der Regierung und der Opposition hinter dem Rücken der Protestbewegung beschlossen wurde, fühlen sich viele durch den institutionellen Prozess nicht repräsentiert. Die Meinungen beim Treffen waren geteilt: Manche wollen für die neue Verfassung abstimmen, andere wollen die Volksbefragung boykottieren, weil sie dem institutionellen Prozess nicht vertrauen und keine Option sehen, für eine verfassungsgebende Versammlung zu stimmen, die vom Volk aus gestaltet wird.

aus: https://amerika21.de/2020/02/237020/plurinationale-feministische-verfassung

Demokratie

Parlamentarische Demokratie als patriarchaler Rohrkrepierer

Das große Geheuchel der „bürgerlichen Mitte“-Parteien über die Thüringer Ministerpräsidentenwahl oder warum Feministinnen Macht ablehnen müssen

Herr Kemmerich von der FDP lässt sich mit freundlicher Unterstützung der AfD zum Thüringischen Ministerpräsidenten wählen – so weit so demokratisch. Das Geschrei der Gralshüter der Demokratie ist groß. Wie sie sich alle echauffieren, die Kevin Kühnerts, die AKKs, die Göring-Eckardts – die anständigen, wahren Demokratinnen! Von Tabu- und Dammbruch ist die Rede. Vertrauensfragen werden gestellt, Blumensträuße fliegen auf den Boden. Die Aufregung geht weiter: Kemmerich will trotz Shitstorms nicht sofort zurücktreten, menno. Aber warum sollte er auch? Wurde er etwa nicht ganz rechtmäßig mithilfe der zweit- und drittstärksten Parteien in sein Amt befördert? Wo wurde denn hier gegen die ach so fortschrittlichen demokratischen Regeln verstoßen? Oder gilt Demokratie immer nur dann, wenn einem das Ergebnis passt?

Parlamentarismus heißt Macht

Seien wir doch mal ehrlich: Das eigentliche Problem ist nicht, dass sich ein Hardcore-Liberaler mithilfe von Neo-Faschisten zum Ministerpräsidenten wählen lässt. Das echte Problem beginnt viel früher, sitzt viel tiefer und heißt Macht. Sie infiltriert in ihren verschiedenen Ausprägungen und Symptomen – Autorität, Hierarchien, Konkurrenz, Leistungsdruck, Geld, Eigentum, Diskriminierungen – unsere gesamte Gesellschaft wie ein Krebsgeschwür. Wir sehen zu, wie sie schon unsere Kinder charakterlich ruiniert, und unternehmen dennoch nichts gegen sie, gehört sie doch so sehr zur Normalität, die man nicht in Frage stellt. Macht mag in einer parlamentarischen Demokratie etwas subtiler und freundlicher daherkommen als in einer Diktatur, zerstörerisch ist sie dennoch. Und das merken die Menschen, umso eher, je schlechter es ihnen geht, je tiefer sie stehen in der Hackordnung.

Systemwechsel heißt Aufgabe der parlamentarischen Demokratie

Wir entschuldigen hier keine AfD-Wähler, wir entschuldigen aber genauso wenig die Wählerinnen anderer Parteien. Sie wären alle besser als Systemboykottierer zu Hause geblieben oder hätten auf der Straße die Revolution eingeläutet für eine andere Form des Zusammenlebens, den Systemwechsel. Die parlamentarische Demokratie ist eine Macht-Ordnung, die Mitbestimmung in Form freier Wahlen vorgaukelt. Wir dürfen aussuchen, wer uns zukünftig fremdbestimmt und können frei wählen zwischen Pest oder Cholera, eitel oder dummdreist, größeres oder kleineres Übel, schlimm-schlimmer-am schlimmsten. Das Ergebnis steht schon immer vorher fest: Wir fahren diesen Planeten vor die Wand, mal schneller, mal langsamer, mal mit, mal ohne Antisemitismus. Mal bürgerlich-mittig (ehemals linke Parteien bezeichnen sich selber ja schon gar nicht mehr als links), mal konservativ, mal realpolitisch, mal neoliberal, völkisch-national oder multikulti – aber immer kapitalistisch-ausbeuterisch, regiert. Die fortschrittlichste Form des Zusammenlebens: die parlamentarische Demokratie! Hurra!

Doch spätestens mit dem eingeläuteten Ende des Kapitalismus – die Erde zeigt uns, wer hier am längeren Hebel sitzt – bröckelt auch die scheinheilige Fassade dieser höchst entwickelten Zivilisationsform. Mit dem Kapitalismus werden auch die parlamentarischen Demokratien sterben. Da sollten wir eigentlich nachhelfen und vorbereitet sein für den Systemwechsel. Und hier sind wir beim einfallslosen, bürgerlichen Feminismus, der Gleichberechtigung fordert für Frauen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, beim Geld und überall, also Macht, und das radikal findet. Und dann? Wird die Welt dann besser? Sind wir das Patriarchat dann los? Oder ein Teil dessen, mit ihm verschmolzen in all seinen Bastionen?

Radikalfeminismus heißt Abkehr von Macht

Unser Problem sind nicht Männer, sondern Macht, die auf uns ausgeübt wird, zwar mehrheitlich von Männern, aber dank Emanzipation auch immer mehr von Frauen – die Chefin, die Vermieterin, die Richterin – sowie in subtiler Form, weil unpersönlich, von aus Menschenhand gemachten Institutionen wie dem Markt, einer Behörde, staatlichen Gesetzen etc. Wenn Feminismus bedeutet, sich aus männlicher Macht zu befreien, dann darf der Feminismus vor anderen personellen oder institutionellen Mächten keinen Halt machen und erst recht nicht selber Macht anstreben. Zumal Macht, das liegt in ihrer Natur, sowieso immer nur wenigen vorbehalten ist. Es kann nur eine Germany’s next Top… äh Chefin werden. Es gilt also, die Systemfrage zu stellen. Und die bedeutet nicht die Forderung eines gleichberechtigten Zugangs zu Macht, sondern im Gegenteil die Abkehr von Macht. Mit der zutiefst konservativen Forderung nach Gleichberechtigung in einem patriarchalen Gesamtwerk ohne Systemwechsel im Blick begeben wir uns auf dem Holzweg in die Sackgasse.


aus: https://dieschoenenrosen.blog/2020/02/14/parlamentarische-demokratie-als-patriarchaler-rohrkrepierer/

Kunstwettbewerb: Angsträume

Der Senator für Kultur schreibt einen Kunstwettbewerb aus (Bereich vor der Helenenstraße) für eine saubere und sichere Stadt zur Vermeidung von Angsträumen und gegen Verwahrlosung. Erwartet werden auch „Gestaltungsvorschläge, die zusätzliche ungewünschte Graffiti erschweren bzw. sich mit gängigen Methoden unkompliziert reinigen lassen“. Kunst sticht „Kunst“. Nun denn:

Da Bremen eine Rüstungsstadt ist, wäre doch ein bisschen High-Tech angebracht. Da war doch dieses schöne EU-Überwachungsprojekt. „Indect“, auf Deutsch „Intelligentes Informationssystem zur Überwachung, Suche und Detektion für die Sicherheit der Bürger in urbaner Umgebung“, bündelt verschiedene Überwachungsmittel. Zum Einsatz kommen Drohnen, Kameras, Gesichtserkennung, Bildanalyse, Datenbanken, Internet.

Das Cleverchen erkennt „abnormales Verhalten“ und wenn Schmierereien abnormal sind, manche werden es noch aus der Schulzeit kennen – Narrenhände beschmieren Tisch und Wände – dann doch wohl unautorisierte Graffitis. Erst fragen, dann malen, bitte, danke, so muss das laufen. Wer sich außerhalb des wohlfeilen Benehmens bewegt, könnte dann von einer Drohne selbstständig verfolgt und nach Datenabgleich von der Polizei bereits Zuhause oder am Arbeitsplatz empfangen werden. Was für ein Service, da sage noch mal einer Dienstleistungswüste Deutschland. Was gilt denn aber als „abnormales Verhalten“? „Herumlungern“ oder „sich umschauen“, „nach dem Spiel im Stadion sitzen bleiben“ oder „zu lange neben einem Auto stehen“, plötzlicher Richtungswechsel, lautes Geschrei oder bei Rot über die Ampel gehen. Zu ergänzen wäre hier selbestverständlich noch das Nichtstehenbleiben vor wahrer Kunst, das können nur Kunstbanausen sein. Drohne los! Wie praktisch, dass sich Drohnen auch mit Waffen aufrüsten lassen. Also, wenn man das kann, dann sollte so was doch genutzt werden, wäre sonst schade drum, gell. Kollateralschäden? Schlimm, schlimm, lässt sich aber nicht ändern. C’est la vie.

Die Drohnen und Kameras finden sicherlich ein schönes Nest auf dem Pisshäuschen im Eingangsbereich. Aug in Aug überlegt sich jede sicherlich zweimal, einen Stift oder eine Spraydose zu zücken.

Muss nur noch die EU gefragt werden, was die mit diesem geilen Forschungsprojekt inzwischen gemacht hat. Oder einfach mal bei BMBF, Unis, Polizei, Bahn, Institute, Sicherheitsfirmen nachfragen, auch nach weiteren Projekten zur Mustererkennung: APFeL, ASEV, CAMINSENS, MuViT, MisPel. ADIS

Und everybody is save. „Domo arigato (vielen Dank), Mr. Roboto“!

Alle können besser schlafen, die Frauen, die in der Helenenstraße von Freiern und Co. benutzt werden, die Erwerbslosen, die vom Jobcenter drangsaliert werden, die Arbeitenden, die von Unternehmen ausgepresst werden, die Mieter, denen die Zwangsräumung droht, die Kinder, die in der Schule aussortiert werden …

Musik

“No Man`s Land” – Interview mit Frank Turner

Das hier wird ein für mich besonderer Post. Zum einen weil ich zum ersten Mal ein Interview im Rahmen meines Musikjournalismus geführt habe, welches von vornherein auch einen feministischen Anspruch hatte und zum Crossposten hier vorgesehen war. Zum anderen weil mir die Kontroversität durchaus bewusst ist, einem Mann, in dem Fall einem männlichen Musiker Raum auf einem feministischen Blog einzuräumen. Das insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Reaktionen auf Frank Turners achtes Studioalbum von überschwänglicher Begeisterung bis zum “Mansplaining”-Vorwurf reichen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass das Interview eigentlich erst dadurch zustande gekommen ist, dass ich Frank im August des vergangenen Jahres eine Mail schrieb, die nicht nur Lob, sondern auch Kritik enthielt (auf die er im Übrigen sehr positiv, man könnte auch sagen dankbar reagierte). Vielleicht wird es also für diesen Beitrag Kritik hageln, vielleicht aber auch nicht …

Tatsächlich war das Album ursprünglich gar nicht als Album über Frauen geplant, sondern hat sich mehr oder weniger als solches ergeben. Die entsprechenden, bereits erwähnten Reaktionen, ließen auch nicht lange auf sich warten …

“No Man`s Land” handelt also von zwölf historischen Frauen, plus einem Song über seine Mutter. Da ist zum Beispiel die amerikanische Jazz- und Blues Sängerin und Gitarristin Rosetta Tharpe, der Frank das Lied “Sister Rosetta” gewidmet hat.

Im Interview haben wir darüber gesprochen wie ein Musiker sich als “Ally” für Frauen erweisen kann und wie Frank Turner dieser selbst gewählten Rolle gerecht werden will. Zwei Dinge waren ihm dabei wichtig:

“Vor ein paar Jahren gab es diese Sache, ich weiß nicht ob du das gesehen hast, da hat jemand das Poster vom Reading Festival genommen und alle Bands durchgestrichen, die ausschließlich aus Männern bestanden. Es blieben gerade mal drei übrig. Wer auch immer das gemacht hat, ich ziehe meinen Hut vor der Person, denn das war ein echt effektives politisches Handeln. Bei mir hat es ein Aha-Erlebnis ausgelöst und ich habe mich überdacht. Es gibt ja nicht viel auf diesem Planeten über das ich Kontrolle habe, aber ich kann entscheiden mit wem ich auf Tour gehe, wenn ich Headliner bin. Ich gebe mir richtig mühe dieser Tage ein möglichst ausgewogenes Geschlechterverhältnis bei meinem Line-Up zu haben.”

Wie Musik-Festivals ohne männliche Bands aussehen würden

Frank sprach von der wichtigen Rolle, die seiner Meinung nach Frauen auf der Bühne für junge Mädchen oder Frauen als Vorbilder spielen:

“Und auch das hier ist jetzt nur aus zweiter Hand, weil ich ein Typ bin, aber wir haben mit BAD COP BAD COP in den USA getourt, die sind einfach der Hammer, mit der Sängerin Stacey bin ich seit mehr als 20 Jahren befreundet. Ich hab mir deren Show Abend für Abend angeschaut und hab insbesondere die jüngeren Frauen in der ersten Reihe wahrgenommen und in ihren Augen konnte ich lesen „Verdammt, ich kann mich mir jetzt auf dieser Bühne vorstellen!“ Es setzt die Hürden tiefer und eröffnet Möglichkeiten. Es gibt eine Band in den Staaten, WAR ON WOMEN, die sind einfach unglaublich. Meine Frau mag keinen Punkrock, oder sagen wir sie mag kein Hardcore Punk. Wir waren zusammen auf einem WAR ON WOMEN Konzert und sie drehte sich zu mir um und sagte: „Ich kapier es jetzt! Das ist großartig! Kein bulliger, wütender Mann, der mich anschreit, sondern jemand in dem ich mich wieder erkennen kann, die mir Dinge entgegen schreit, die mir wichtig sind“. Sie sagte auch: „Jetzt verstehe ich, warum du Hardcore Punk liebst.“ Das Feeling ist das Gleiche, aber es sind eben nicht irgendwelche Typen…”

“Ich habe auch schon Sachen mit der Kampagne „Safe Gigs for Women“ in Großbritannien gemacht. Auch das war ein Lernmoment für mich. Die haben angefangen mit einem Blog über sexuelle Übergriffe bei Konzerten. Eine dieser Geschichten drehte sich um etwas, was auf einem meiner Konzerte passiert ist. Mein anfänglicher Impuls war „Nein! Das ist nicht bei meinem Konzert passiert!“ Ich hab das dann gelesen und hab mir gedacht „Verdammte scheiße!“. – Ich bin kein Polizist wenn ich auf der Bühne bin, aber gleichzeitig habe ich erkannt, dass es eine Bedeutung hat, wenn ich meine Bekanntheit nutze, um über diese Dinge zu sprechen und Leute die da drüben stehen mit der Nase darauf stupse. Es sind also kleine Dinge wie diese.”


Musikalisch betrachtet bin ich selbst großer Fan von “Sister Rosetta”, aber auch “The Lioness”, ein Song über die ägyptische Feministin Huda Sha-arawi (1839 – 1947) , deren Tochter im Podcast zu hören ist. 1922 traf Huda die Entscheidung in aller Öffentlichkeit den Schleier abzulegen und sorgte damit für Aufsehen. Im Song heißt es: „Huda Sha’arawi war der Name der Löwin. Ihr Herz wohlgefüttert, ihre Augen entflammt. Ihr unbedecktes Gesicht zeigte was sie überwunden hatte. Huda ist die Löwin, und sie wird sich nicht zähmen lassen“ – ein Lied über eine Störenfrieda sozusagen. Für den Podcast suchte Turner historische Orte der besungenen Frauen auf, aufgrund von komplizierten Visa-Prozessen schaffe er es zu seinem eigenen Ärger nicht nach Kairo um Hudas Tochter persönlich zu treffen.

aus: https://diestoerenfriedas.de/no-mans-land-interview-mit-frank-turner/

Polizeistaat: Zwangsgebühren für Polizeiarbeit, was sich sicherlich gut gegen politisch Aktive und sonstige unliebsame Menschen einsetzen lässt

Gebühren für Maßnahmen der Polizei

Bezahlte Repression

Die Bundespolizei hat eine besondere Gebührenordnung eingeführt. In Konflikt mit der Staatsmacht zu kommen, kann nun extra teuer werden.

Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat das Bundesinnenministerium (BMI) diesem Szenario noch etwas hinzugefügt: eine Strafe vor der Strafe. In einer im Oktober in Kraft getretenen Verordnung wurde festgelegt, dass sie für die nicht bestellte Polizeidienstleistung auch noch zahlen müssen. Die Identitätsfeststellung: 53,75 Euro. Die Anordnung zur Gewahrsamnahme: 74,15 Euro. Eine Viertelstunde Fahrt auf die Wache: 15,69 Euro. Erkennungsdienstliche Behandlung mit Fotos und Fingerabdrücken: 59,50 Euro. Jede Viertelstunde in Gewahrsam: 6,51 Euro.

Für einen stinknormalen Polizeieinsatz soll man also eine hohe dreistellige Summe auf den Tisch legen, noch bevor der Rechtsstaat über ihre Schuld befindet und die eigentliche Strafe verhängt. Fast verwunderlich, dass man nicht noch 10 Cent für jede angefallene Seite Papier berappen muss.

Besondere Gebührenverordnung des BMI“ nennt sich diese Schikane. Zur Kasse gebeten werde soll, wer vorsätzlich oder fahrlässig eine „Gefahrenlage“ schafft. Blöd nur, dass der Großteil von Strafrechtsverstößen unter diese Kategorien fällt. Auch wenn sich das Bengalo von alleine entzündet, wird die Polizei von Fahrlässigkeit sprechen. Für die Staatskasse ist das gut. 2,78 Millionen Euro soll die Bundespolizei durch die Gebühren im Jahr eintreiben. Und wer weiß schon, ob die Polizei nun nicht auch mal die eine oder andere unnötige Maßnahme extra durchführt.

In NRW sind inzwischen die ersten Rechnungen verschickt worden. Wie die Westdeutsche Zeitung berichtet, soll eine Frau nun 550 Euro blechen, weil sie am Düsseldorfer Hauptbahnhof ihren Koffer vergessen hatte. Als sie nach einer halben Stunde ausfindig gemacht wurde, war der Fundort bereits abgesperrt und ein Sprengstoffhund unterwegs.

aus: https://taz.de/Gebuehren-fuer-Massnahmen-der-Polizei/!5658040/

Demokratie: Gewaltapparat Polizei dient immer den Interessen der Mächtigen

Proteste in Frankreich: “Die Polizei verbreitet Chaos und Angst”

Martin Barzilai arbeitet als Lehrer und aktivistischer Fotograf in Paris. Mosaik-Redakteur*innen Klaudia Wieser und Martin Konecny sprachen mit ihm über Frankreich im Ausnahmezustand, ängstliche MachthaberInnen und eine neue Dimension der Polizeigewalt.

Vor einigen Tagen konnte ich die Polizei dabei fotografieren, wie sie einen Demonstranten brutal verprügelte. Es war überall Blut und die am Boden liegende Person wurde schwer verletzt. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie und welches Foto ich davon veröffentliche. Am Ende habe ich es an eine große Zeitung gespielt. Ich hatte Glück und auch die gewissen Beziehungen, um es an die Öffentlichkeit zu bringen. In den meisten Fällen berichten die Massenmedien nicht über solche Fälle. Der Demonstrant wurde mehr als 24 Stunden von der Polizei festgehalten und muss jetzt vor Gericht. Die Polizei beschuldigt ihn, dass er sie attackiert hätte. Nachdem ich das Foto veröffentlicht habe, baten mich seine Anwälte, als Zeuge aufzutreten. Sie verwenden meine Fotos als Beweismittel.

18. Jänner 2020, Demonstration in Paris, FOTO: Martin Barzilai

Was kann man dieser Polizeigewalt entgegensetzen?

Es gibt leider wenig Möglichkeiten, etwas dagegen zu tun. Die Institution Polizei an sich ist in Frankreich sehr stark im Staatsapparat verankert. Es gibt linke Anwält*innen, die sich in Kollektiven zusammenschließen und Verteidigungen für Demonstrant*innen leisten. Seit Jahren haben wir aber kaum Fälle gesehen, wo sie vor Gericht Siege erzielten.

Die Polizei hält sich an keine Regeln. Seit 2014 sollten eigentlich alle Polizisten ihre Dienstnummern sichtbar tragen. Aber nur vielleicht ein Fünftel macht das auch. Ihre Strategie ist die Verbreitung von Chaos und Angst. Ich würde sagen, dass du bei einer Demonstration in Frankreich vielleicht nicht getötet werden kannst, aber du kannst ein Auge oder einen Arm verlieren und andere schwerwiegende Verletzungen davon tragen.

Bei Demonstrationen verwenden sie zwei Arten von Waffen, die in den meisten europäischen Ländern verboten sind. Zum einen sind das sogenannte Flashballs, die aussehen wie große Gummigeschoße.  Zum anderen schießen sie mit einer Art Schockgranaten. Sie erzeugen großen Lärm, sind aber zusätzlich mit einer kleinen Menge Sprengstoff gefüllt. Demonstrant*innen können bei den Explosionen schwer verletzt werden.

Wir müssen uns daran erinnern, dass diese brutale Art von „Aufstandsbekämpfung“ in den migrantischen Vorstädten und Arbeiter*innenbezirken am Rande von Paris getestet und präzisiert wurde, bevor sie heute an weißen Demonstrant*innen angewandt wird.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Machthaber*innen haben Angst. Der massive Anstieg an Polizeigewalt ist die Folge davon. Das ist nicht nur in Frankreich der Fall. Ich denke es ist wichtig, global zu denken und lokal zu handeln. Diese Gewalt ist eine direkte Auswirkung des Kapitalismus und des Rassismus und dagegen müssen wir alle gemeinsam eintreten. Es ist wichtig, verschiedene gesellschaftliche Gruppen zu vernetzen, die wütend, allein und in ihrer Existenz bedroht sind. Das ist eine komplex Herausforderung, bleibt aber die einzige Chance, weitere Erfolge zu erzielen.

aus: https://mosaik-blog.at/proteste-frankreich-polizei/