Polizei in ihrem Element

Wenn Demonstranten zu „Gefährdern“ erklärt werden

Die autoritären Krisenmaßnahmen zielen weniger auf Gesundheitsschutz als auf die Erzwingung politischen Gehorsams

Es herrscht Willkür in Schland. Die Polizei versucht mit massiver Präsenz weniger das Kontaktverbot zu kontrollieren, als den öffentlichen Raum zu leeren. Es scheint nicht um Infektionsschutz, sondern um die Erzwingung von Gehorsam zu gehen. Und ein Kanzleramtsminister legt mal so nebenbei im Wege der Verkündung fest, dass die Kontaktbeschränkungen auf jeden Fall bis zum 20. April zu bestehen haben, während sie in Berlin tatsächlich nur bis zum 5. April 2020 gelten. Niemand widerspricht dem Merkel-Minister.

Fast niemand. Für Samstag hatte zum Beispiel eine neue Initiative namens „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ (KDW) zum Protest und zur Verteidigung der Grundrechtsartikel des Grundgesetzes aufgerufen, genannt Hygienedemo, weil der Körperabstand von zwei Metern inklusive Mundschutz eingehalten werden sollten.

Was sich dann etwa eine Stunde lang auf dem Rosa-Luxemburg-Platz vor der Volksbühne in Berlin abgespielt hat, ist mit den Begriffen Versammlung, Demonstration oder Kundgebung nur sehr unzutreffend zu beschreiben. Es war eine Art Live-Auseinandersetzung zwischen Zivilisten und Uniformierten.

Etwa 150 Demonstrationswillige kamen zu dem Platz und gut ein halbes Dutzend Mannschaftswägen mit vielleicht 50 Polizeikräften. Zunächst mahnte die Polizei per Lautsprecher, das Aufhalten auf dem Platz sei untersagt. Die Demonstrationswilligen bewegten sich einzeln oder zu zweit, viele mit Mundschutz auf und um den Platz. Die Beamten nahmen Ansprachen vor. Die Demonstrationswilligen verwickelten ihrerseits die Ordnungskräfte in Gespräche und erinnerten an die Grundrechte in der deutschen Verfassung.

Die Polizei meinte, der Schutz von Leben stehe über der Versammlungsfreiheit, ihre Maßnahmen folgten dem Infektionsschutzgesetz. Außerdem müsse eine Kundgebung angemeldet und bestätigt werden. Der Veranstalter, ein Mitglied des Vereins KDW, hatte seine Hygienedemo bereits am 24. März schriftlich bei der lokalen Polizeistation angemeldet und erklärt, die Hygieneanweisungen, wie Zwei-Meter-Abstand, einzuhalten. Nach Auskunft des Veranstalters kam von Seiten der Polizei keine negative Rückmeldung. Trotzdem behauptete der Polizeisprecher von Berlin noch am Samstag gegenüber Medien, die Demonstration sei nicht angemeldet.

Nur so nebenbei: Nach Artikel 8 Grundgesetz (Versammlungsfreiheit) haben „alle Deutschen [sic!] das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“. Absatz 2 des Artikels relativiert allerdings, dass dieses Recht durch Gesetz beschränkt werden kann. Für Versammlungen in Räumen trifft diese Einschränkung nicht zu. Trotzdem sind sie wiederum bereits seit Wochen per Anordnung verboten.

Kundgebung ist Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz

Weil die mobile, anarchische Kundgebung rund um den Rosa-Luxemburg-Platz sich einfach nicht auflösen wollte, ging die Polizei dazu über, Platzverweise auszusprechen. Ein Mann, der daraufhin die Personalien des anordnenden Beamten haben wollte, wurde mitgenommen und zur eigenen Personalienabgabe gezwungen. Auch eine Frau, die alleine gekommen war und ein Plakat um den Hals trug mit der Aufschrift „Artikel 20 Abs. 4 Grundgesetz gilt!“, wurde des Platzes verwiesen. Der Artikel 20 beinhaltet ein Widerstandsrecht. In Absatz 4 steht: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen [sic!] das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Weil die Frau den Ort nicht verließ, sondern stattdessen um ihn herumspazierte, wurden ihre Personalien aufgenommen, und sie wurde wegen Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz angezeigt. Das sei eine Straftat, so der aufnehmende Beamte. Als Chronist, der das Szenario inmitten Berlins verfolgte, fragte ich den Polizeibeamten, wie denn dieses Plakat den Infektionsschutz gefährden könnte. Er sagte, mit diesem Plakat dürfe sie zu dieser Zeit nicht an diesem Ort sein.

Nachdem ich mit der Demonstrantin Kontakt aufgenommen hatte, befahl er, obwohl ich mich als Pressevertreter auswies, ich solle meine Tonaufnahmen von dem Gespräch löschen. Weil ich das ablehnte, beschlagnahmte die Polizei das Aufnahmegerät und stellte Strafanzeige wegen „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“ (§ 201 Strafgesetzbuch).

Laut Polizei wurden insgesamt 17 Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz und Widerstandes gegen Beamte eingeleitet.

aus: https://www.heise.de/tp/features/Wenn-Demonstranten-zu-Gefaehrdern-erklaert-werden-4692869.html