Nicht zu vergessen, der Krieg im Jemen, seit Jahren eine humanitäre Katasthrophe

Der Krieg gegen Jemens Kinder

Drei von fünf Kriegstoten sind unter fünf Jahren
2. Januar 2020 | Jakob Reimann


Doch was ist die Ursache für diesen im Grunde unfassbar hohen Anteil toter Kinder? In der Graswurzelrevolution Nr. 434 vom Dezember 2018 berichtete ich über einen Anschlag, bei dem ein saudischer Kampfjet zwei 500-Pfund-Bomben der US-Rüstungsschmiede Lockheed Martin auf einen Schulbus in Dahyan im Nordjemen abwarf und dabei 51 Menschen tötete, 40 von ihnen Schulkinder. (4) Doch stellen derartige Gewaltexzesse gegen Kinder die Ausnahme dar. Zur Erklärung des beschriebenen Missverhältnisses müssen wir uns die von der Denver University hinzugefügten Sekundärphänomene ansehen – den schleichenden Tod. Denn der auf jeden Krieg zutreffende Umstand, dass durch Waffengewalt getötete Menschen nur eine Fraktion der Kriegstoten ausmachen, wird im Jemen auf die Spitze getrieben. So wütet neben einer historischen Hungerkatastrophe – die UN warnte vor „der schlimmsten Hungersnot der Welt seit 100 Jahren“ – mit über 2,2 Millionen Infizierten die mit weitem Abstand größte jemals registrierte Choleraepidemie. (5)

Mitte November berichtete ich als Einzige*r im deutschsprachigen Raum über eine ausbrechende Malariaepedimie, innerhalb weniger Wochen registrierte das Houthi-geführte Gesundheitsministerium 116.522 Infektionen und 500.000 mehr Verdachtsfälle. (6) Auch sind Denguefieber, Masern und Diphtherie auf dem Vormarsch – und von all diesen Sekundärphänomenen sind Kinder, besonders die kleinsten unter ihnen, besonders heftig betroffen.

Dieses deprimierende Kapitel zusammenfassend, das katastrophale Résumé des jemenitischen Gesundheitsministers al-Mutawakel: „Im Jemen sterben jedes Jahr 100.000 Kinder am Krieg und der Belagerung, an Krankheiten und Epidemien.“

Outsourcing von Krieg, im globalisierten Kapitalismus sind Elitesoldaten frei handelbare Güter, die für aberwitzige Gehälter den Tod in die entferntesten Ecken der Welt tragen. Im Jemen führen die zumeist hochausgebildeten Einheiten taktische Operationen, komplexe Bombenanschläge oder Attentate auf Oppositionelle und Geistliche durch – für stupide Grabenkämpfe an der Front (13) sind diese Investments zu wertvoll, so muss auf dem globalisierten Söldnermarkt nach billigen Alternativen gesucht werden. Fündig wurden die Koalitionäre auf der anderen Seite des Roten Meers, im vom Darfur-Genozid ab 2003 noch immer kriegszerstörten Sudan – und niemand ist hier so billig wie Kinder.

Rund 14.000 Söldner aus dem Sudan befinden sich zu jedem Zeitpunkt, angefangen wenige Monate nach Kriegsbeginn, im Jemen, erklären zurückgekehrte Kämpfer und sudanesische Politiker*innen, die diesem Spuk ein Ende setzen wollen, gegenüber der New York Times (14); manche Quellen sprechen von bis zu 30.000 Kämpfern. (15) Eine Entsendung läuft in der Regel ein halbes Jahr, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass die Gesamtzahl sudanesischer Söldner, die im Jemen stationiert waren, in die Hunderttausende geht. Die Sudanesen werden in heftig umkämpften Regionen wie in der von den Houthis belagerten Metropole Ta’iz eingesetzt oder in der Schlacht um die wichtigste Hafenstadt des Landes, Hodeida. Sie sind oft ungeschützt und übernehmen die gefährlichsten Aufgaben. „Sie behandeln die Sudanesen wie ihr Feuerholz“, beschreibt der 25-jährige Ahmed treffend die Situation. Die rekrutierten sudanesischen Kinder und Jugendlichen sind zwischen 13 und 17 Jahre alt, sie machen zwischen 20 und 40 Prozent der sudanesischen Einheiten aus. Demnach sind zu jedem Zeitpunkt Tausende sudanesische Kindersöldner im Jemen stationiert, insgesamt geht ihre Zahl gewiss in die Zehntausende.

aus: https://www.graswurzel.net/gwr/2020/01/der-krieg-gegen-jemens-kinder/