Deutscher Staat droht politisch engagierten Müttern

Sorgerechtsentzug wegen Aktivitäten für die kurdische Bewegung?

Zozan G. ist Mutter von fünf Kindern. Weil ihre 13-jährige Tochter sich politisch engagiert, soll der Mutter das Sorgerecht entzogen werden. In Oberhausen spielt sich ein Präzedenzfall ab, der ein Drohszenario für alle politisch aktiven Mütter darstellt.


Zozan G. ist in der kurdischen Bewegung aktiv, sie spricht häufig auf Kundgebungen der Solidaritätsbewegung für Rojava in Duisburg, Oberhausen und Mülheim. Vor allem setzt sie sich für die Belange von Frauen in Kurdistan ein. Zozan wird vorgeworfen, ihre minderjährigen Kinder mit „PKK-Propaganda zu indoktrinieren“. Offensichtlich hat der Polizeiliche Staatsschutz Düsseldorf, also die politische Polizei, eine Eingabe an das Jugendamt der Stadt Oberhausen gemacht.

„Das Jugendamt ist sogar in meiner Abwesenheit zu mir nach Hause gekommen, um sich alle Zimmer in meiner Wohnung anzusehen, der Kindsvater hat sie hereingelassen. Nach diversen Gesprächen und Erkundungen kam die Vertreterin des Jugendamtes, Frau Merkel, jedoch zu dem Entschluss, dass die Kinder nicht gefährdet sind, ganz im Gegenteil, sie seien integriert und sehr gut erzogen“, berichtet Zozan.

Im November 2019 fand die erste Gerichtsverhandlung statt. „Ich bin dort ohne Rechtsanwalt hingegangen, weil mir nicht bewusst war, dass man mir die Kinder wegnehmen will. Der mir gegenüber gemachte Vorwurf ist ‚Kindeswohlgefährdung‘. Meine Kinder sind nicht gefährdet, ich erziehe sie zu Menschen, die eine Meinung haben, menschliche Werte vertreten und auch dafür einstehen. Offensichtlich will man ein Exempel an mir statuieren, um mich einzuschüchtern, damit ich aufhöre, mich politisch zu engagieren“, so Zozan G. Vor Gericht wurden ihr Fotos und Mitschriften von politischen Aktionen der letzten Jahre vorgelegt. Sie wurde also offensichtlich jahrelang bespitzelt, obwohl sie sich immer im Rahmen angemeldeter demokratischer Aktionen bewegt hat und Gewalt ablehnt.

Der Staatsschutz unterrichtete das Jugendamt im Mai 2019, Zozan G. heiße die „Unterstützung der PKK-nahen Unterstützerszene gut. Es wird davon ausgegangen, dass L.G. weiter bei politischen PKK-Aktionen teilnehmen wird und sich ihre Nähe zur PKK-nahen Szene in Deutschland weiter verfestigen wird, ursächlich dürfte hierbei auch der Einfluss der Mutter Zozan G. sein“.

L. wird also jede eigene Haltung abgesprochen, die berechtigte politische Aktivität für die kurdische Sache wird diffamiert.

Die Richterin Bertante am Amtsgericht Oberhausen fand es offenbar notwendig, neben L. auch die anderen vier Kinder zu befragen. Das Gericht hatte eine Verfahrensbeiständin, sozusagen als „Anwältin der Kinder“, einbestellt. Diese rief noch einen Tag vor der Verhandlung bei der Richterin an und versuchte die Anhörung zum Wohl der Kinder zu verhindern. Insbesondere für den sechsjährigen S. der aufgrund von einem Hörfehler entwicklungsverzögert ist, sah die Verfahrensbeiständin eine Befragung als zu belastend. Aber auch sie konnte die Anhörung nicht verhindern. Entgegen der Empfehlung bestand die Richterin Bertante auf der Anhörung der Kinder, die am 20. Dezember durchgeführt wurde. Die Kinder wurden einzeln teilweise bis zu 20 Minuten befragt. Besonders für den sechsjährigen S. eine Qual: Er ist in logo- und ergotherapeutischer Behandlung und reagierte sehr verstört auf die Verhörsituation.

Vollkommen unverständlich, warum sich Richterin Bertante so in das Verfahren hereinhängt, hat das Jugendamt doch inzwischen dargelegt, dass keinerlei Kindeswohlgefährdung vorliegt. „Wir wissen nicht, wer hinter dem Verfahren steht, das Jugendamt sieht jetzt keinen Handlungsbedarf mehr, aber mein Anwalt bekommt immer noch keine Akteneinsicht“, so Zozan. Immer noch wird gegen Zozan ermittelt, sie wird auf der Autobahn verfolgt, durch Kontrollen eingeschüchtert.

Der Fall von Zozan ist kein Einzelfall. Offensichtlich ist es Menschen unter 18 Jahren nicht gestattet, eine eigene Meinung kundzutun, schon gar nicht, wenn es um die kurdische Frage und Kritik am Erdogan-Regime geht. Die heute 26-jährige Rojbîn G. aus Mainz berichtet, dass ihre Familie über Jahre vom Staatschutz drangsaliert wurde.

Es sind Frauen, Mütter, die über die Drohung des Kindesentzuges willfährig gemacht werden sollen. Der Staatsschutz übt immer wieder enormen Druck auf kurdische Familien aus, sei es über das Anwerben von Spitzeln, die Drohung des Entzuges der Aufenthaltsberechtigung oder wie bei Zozan und der Mutter von Rojbîn die Drohung des Kindesentzuges.

Im Fall von Zozan handelt es sich um einen Präzedenzfall. Sollten der Staatschutz und die Jugendrichterin mit dem Kindesentzug durchkommen, könnte dies ein Drohszenario für alle politisch aktiven Mütter sein. Diese Art von Repression ist bisher noch nicht einmal dem türkischen Staat eingefallen. „Wir sind aus Kurdistan geflohen, weil die Repression des türkischen Staates zu groß war, mein Vater war jahrelang im Gefängnis. Es ist unerträglich, dass man uns auch hier mit Repression überzieht, weil wir uns organisieren und uns für unsere Rechte einsetzen“, sagt Rojbîn.

aus: https://anfdeutsch.com/aktuelles/sorgerechtsentzug-wegen-aktivitaeten-fuer-die-kurdische-bewegung-16256