Digitalisierung: Datenschutz und gut funktionierende analoge Infrastruktur stören Profit- und Machtinteressen

Wie Covid-19 den USA hilft, im Digitalisierungsrennen mit China mitzuhalten

„Es ist deutlich, dass China entschlossen ist, die globale Führung auf den Gebieten Künstliche Intelligenz, Hochleistungscomputer und synthetische Biologie zu übernehmen. Das sind die Sektoren, die das Leben auf dem Planeten und die militärische Machtbalance in den nächsten Jahrzehnten bestimmen werden.

Das schrieb Michael Dempsey, ehemaliger Chef der Geheimdienste, im März 2018. Er regte an, dass die Regierung die öffentlichen und privaten Entwicklungsanstrengungen auf diesem Gebiet unter Aspekten der nationalen Sicherheit koordiniert, so wie die Regierung auch an der Entwicklung des Internets entscheidend mitgewirkt habe, um die nationale Sicherheit, sprich die Vorherrschaft der USA, zu befördern.

Eric Schmidt, ehemaliger CEO von Alphabet, der Muttergesellschaft von Google, warnte in der New York Times, das Silicon Valley werde den Technologiekrieg mit den chinesischen Unternehmen verlieren, wenn die Regierung nicht bald etwas tue.

Eine Nationale Sicherheitskommission für Digitales

Doch die Regierung tat etwas, um die Katastrophe des Verlusts der Weltherrschaft abzuwenden, wie Schmidt durchaus wusste. Denn er ist Vorsitzender des gemeinsamen Gremiums von Silicon-Valley-Größen und Sicherheitsapparat, das 2018 per Gesetz geschaffen wurde, um den digitaltechnischen Vorsprung der USA gegen China zu verteidigen. Es hört auf den Namen National Security Commission on Artificial Intelligence (NSCAI), Nationale Sicherheitskommission zur künstlichen Intelligenz.

Laut Gesetz ist die Aufgabe der Kommission, Wege zu entwickeln, wie die Regierung in Zusammenarbeit mit dem Privatsektor den technologischen Vorsprung bei künstlicher Intelligenz, Maschinenlernen und verwandten Technologien mit Relevanz für die nationale Sicherheit gegen China verteidigen kann.

Außerdem wurde ein Joint Artificial Intelligence Center (JAIC) vom Militär und Geheimdiensten geschaffen, also ein gemeinsames Zentrum für künstliche Intelligenz, das unter anderem die Aufgabe hat, die Aktivitäten in dieser Richtung mit anderen Behörden, Unternehmen, Wissenschaftlern, und – für uns besonders interessant – den US-Alliierten abzustimmen.

Außer einer Konferenz in Washington, in der Mitglieder der NSCAI, ehemalige Nato-Offizielle und andere in wolkigen Worten über die neue Weltordnung und andere Themen philosophierten, hat die Öffentlichkeit wenig von der Arbeit der NSCAI mitbekommen. Doch jüngst beförderte das Electronic Privacy Information Center (EPIC) mithilfe eines Informationsfreiheitsgesetzes eine Präsentation der NSCAI vom Mai 2019 ans Licht, die aus gutem Grund einiges Aufsehen erregt hat.

Eine brisante Präsentation

Unter dem Titel „China’s Tech Landscape Overview“ wird darin sehr detailliert aufgelistet und erläutert, welche strukturellen Vorteile es China ermöglichen, so rapide voranzuschreiten, sowohl bei er künstlichen Intelligenz (AI), als auch bei digitalen Geschäftsmodellen generell, die als Basis für die Anwendung von AI gelten. So schnell, dass dadurch die technologische und militärische Vorherrschaft der USA bedroht ist.

Bei der Schaffung der Technologie seien die USA immer noch führend. Aber bei der Anwendung und praktischen Weiterentwicklung falle man aufgrund ungünstiger struktureller Faktoren immer weiter hinter China zurück. Die dort genannten strukturellen Hindernisse sind zum einen Datenschutzregeln, zum anderen alles, was in Industrieländern, anders als in China, an analoger, gut funktionierender Infrastruktur vorhanden ist, so wie flächendeckende Bargeldversorgung und Bankfilialen, Ärzte und Krankenhäuser, Lehrer, gut sortierte Läden selbst in ländlichen Gebieten, funktionierender Individual- und öffentlicher Verkehr etc.

An Beispielen wird angeführt, dass in manchen Regionen Chinas zu wenig Gesundheitseinrichtungen vorhanden seien, sodass Ferndiagnosen und Behandlungen mit AI-Unterstützung attraktiver sind, als in den USA, wo es genug Ärzte gibt, und dass verstopfte Städte die Entwicklung von selbstfahrenden Mietautoflotten als Ersatz für individuellen Autobesitz dringlicher machten.

Ein Virus kommt wie gerufen

Seit der Covid-19-Virus umgeht, sind viele Sorgen der NSCAI deutlich kleiner geworden.

Künstliche Intelligenz ist in den Augen der Öffentlichkeit von einer Bedrohung zu einem Heilsbringer geworden, durch ihren in den Medien überall herausgestellten, tatsächlichen oder nur behaupteten Nutzen bei der Pandemiebekämpfung. Das betrifft zuallererst die Erhebung und Nutzung von Gesundheitsdaten, wo die Bürger und Datenschützer bisher besonders sensibel und abwehrend auf Digitalisierung reagierten. Typisch dafür die Überschrift eines Artikels in der Frankfurter Allgemeinen, die beklagt, dass „die rettende Corona-App“ erst später kommen könnte. Und das, obwohl es mit Nachweis oder auch nur Plausibilität, dass das automatische Kontakte-Verfolgen per Smartphone funktioniert und etwas bringt, ziemlich düster aussieht.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) sammelt über Fitnessarmbänder und ähnliches Gesundheitsdaten ein und führt dabei nach einem Bericht des Chaos Computer Clubs die freiwilligen Mitmacher hinters Licht. Mehr als eine kurze Meldung ist das, was sonst ein großer Skandal wäre, den Medien nicht wert. Dann ist es vergessen und vergeben.

Regierungen der US-Alliierten aller Couleur geben der Entwicklung von Apps zur Kontaktverfolgung der Menschen und zur Erfassung von Biodaten höchste Priorität. Da oft Hardware oder Software der US-Digitalkonzerne beteiligt sind und die Daten bei US-amerikanischen Cloud-Anbietern gespeichert werden, bringt das den Entwicklern von AI-Anwendungen in den USA (und den Geheimdiensten) massenhaft Daten.

Google und Apple, die zusammen quasi ein Monopol auf Betriebssysteme von Smartphones haben, wollen die Kontaktverfolgung – im Dienste der Virusbekämpfung – dauerhaft und gemeinsam in ihre Betriebssysteme integrieren. Darüber, dass Bill Gates den Coronavirus als ersten Anwendungsfall für das Known-Traveller-Programm und die ID2020-Initiative nannte, über die jeder Erdenbürger eine einheitliche Identifikation bekommen soll, habe ich schon geschrieben.

Bargeld wird wegen gefühltem, wenn auch wissenschaftlich widerlegten Ansteckungsrisiko immer unbeliebter. Das hilft der Durchsetzung neuer kontaktloser Bezahlverfahren auf die Sprünge.

Die physischen Ladengeschäfte mussten wochenlang schließen und leiden, wenn sie wieder öffnen können, unter strengen Hygiene- und Abstandsvorschriften. Viele werden dicht machen. Für den Online-Handel ist das ein sensationelles Anschubprogramm. Amazon hat zigtausende zusätzliche Mitarbeiter eingestellt.

Konferenzen und Meetings finden fast überall nur noch virtuell statt, fast überall in der westlichen Welt mithilfe der Software und über die Server von US-Unternehmen wie Microsoft, Amazon und Zoom. Universitäten halten ihre Vorlesungen über das Internet ab, meist ebenfalls mit der Software der US-Konzerne, Schulen bemühen sich, so schnell wie möglich in einen Stand zu kommen, dass sie das auch können. Woran Microsoft und die Bertelsmann Stiftung seit langen Jahren mit sehr viel Geld und mäßigem Erfolg arbeiten, an der Digitalisierung des Lehrens, es macht einen großen Satz nach vorn.

Zusammengenommen ist der Marktwert der vier Digitalkonzerne mit Vertretern im NSCAI seit Jahresanfang trotz Wirtschaftskrise für die Normalbevölkerung kräftig nach oben gegangen. Für sie gibt es keine Krise, für sie gibt es vor allem Chancen. Die Zustimmungswerte der meisten Regierungen, die einschneidende Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie beschlossen haben, gehen durch die Decke, und dazu bekommen sie neue polizeistaatliche Instrumente, von denen sie vorher kaum zu träumen gewagt hätten.

aus: https://norberthaering.de/die-regenten-der-welt/nscai/