Von Politik und Wirtschaft verschuldete Verhältnisse (und nicht von einem Virus, von der „Flüchtlingsflut“, Demografie, den Erwerbslosen oder sonstigen Sündenböcken): neoliberales Gesundheitssystem, Klimakrise, Artensterben, Elend der Flüchtlinge, Tote im Jemen, in Afghanistan und auf der ganzen Welt, Landgrabbing, reichere Reiche und mehr Arme, kriegsgeile Nato, gesellschaftliche Spaltung, Angriffe auf Freiheitsrechte, Überwachung und Repression, Propaganda, Digitalidioten, soziale und wirtschaftliche Not durch die Schocktherapie anhand eines Virus, Warenförmigkeit der menschlichen Beziehungen, krankmachende Arbeit, Nationalismus, Militarisierung, Kinderarmut …

Wir werden panisch, außer beim Planeten

Corona Die Krise zeigt, wie handlungsfähig Politik und Gesellschaft sein können, wenn sie wirklich wollen. Warum klappt das nicht beim Klima?
Svenja Beller | Ausgabe 12/2020 11
 

Wir blicken in diesen Zeiten einer globalen Katastrophe entgegen, Millionen von Menschenleben sind in Gefahr, unser Wirtschaftssystem droht einzuknicken, nichts wird mehr sein, wie es war. Es gilt nun keine Zeit zu verlieren, will man die schlimmsten Auswirkungen noch abwenden.

Und tatsächlich, auf die deutsche Politik ist Verlass: Es sei nun nötig, Verantwortung im Kampf gegen die Bedrohung zu übernehmen, ruft Bundeskanzlerin Angela Merkel unerschrocken aus. „Unsere Solidarität, unsere Vernunft und unser Herz füreinander sind auf eine Probe gestellt, von der ich mir wünsche, dass wir sie auch bestehen“, lässt sie ihr Volk wissen – „es ist nicht vergeblich, es ist nicht umsonst!“ Man müsse nun unbedingt auf die Empfehlungen der Wissenschaft hören, direkte Handlungsanweisungen werden an alle Bürgerinnen und Bürger ausgegeben, Großveranstaltungen abgesagt, Reisen gecancelt, die Wahl eines neuen CDU-Parteichefs wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Notstandsmaschinerie läuft an. Die Kleinstadt Neustadt an der Dosse schreitet kühn voran und fährt sich selbst runter, Bundesländer schließen Kindergärten und Schulen, die Fluggesellschaften Lufthansa, Austrian, Swiss, Eurowings und Brussels wollen ihre Kapazitäten um die Hälfte reduzieren, niemand fliegt mehr in die USA.

Stillhalten jetzt. „Wir müssen unseren Alltag ändern“, ordnet Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an. „Nicht allmählich, sondern jetzt.“ Merkel ist bereit, dafür die schwarze Null im Bundeshaushalt zu reißen; Geld spielt jetzt keine Rolle.

„I want you to panic“, hatte ein kleines schwedisches Mädchen uns aufgefordert – und ja, wir verfallen in Panik! Wir stellen uns auf den Ausnahmezustand ein, wir kaufen die Supermärkte leer und verfolgen atemlos die Newsticker mit immer neuen Todeszahlen. Die junge Generation hat es endlich geschafft, uns wachzurütteln, wir sind jetzt bereit, alles zu geben, was es braucht, um ihre Zukunft zu retten!

Was? Hier geht es gar nicht um den Klimawandel, um die größte Herausforderung unserer Zeit, wie der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, ihn nennt?

Ach so, schade. Aber war denn die Bekämpfung des Klimawandels nicht auch irgendwie dringend? Könnte man sich da nicht genauso ins Zeug legen wie jetzt bei Corona? Energie- und Mobilitätswende im Eilverfahren zur Rettung von Menschenleben?

Ach, jetzt geht erst mal Datteln 4, ein neues Steinkohlekraftwerk, ans Netz. Muss alles wirtschaftlich verträglich sein, verstehe. Die schwarze Null, ja klar, da ist sie wichtig.
aus: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/wir-werden-panisch-ausser-beim-planeten