Müll – individuelle Verhaltensänderung reicht nicht, der Kapitalismus muss auf den Müll der Geschichte

Das Nachhaltigkeitstheater

Recycling Das meiste Plastik wird nie recycelt werden. Die Hersteller interessiert das herzlich wenig, die Schuld bekommen schließlich KundInnen zugeschoben
 
Plastik-Recycling ist ein großer Schwindel. Man sortiert sorgfältig seinen Müll, spült pflichtbewusst alle Plastikbehälter aus und dann wird alles sowieso auf eine Mülldeponie geschüttet oder in den Ozean gekippt. In Ordnung, vielleicht nicht alles – aber doch der allergrößte Teil. Nur neun Prozent aller bisher hergestellten Kunststoffe wurden laut einer Analyse vermutlich recycelt. Aber der Clou ist: Die Unternehmen, die das ganze Plastik produzieren, haben Millionen für Werbekampagnen ausgegeben, die uns Recycling erklären, obwohl sie genau wissen, dass das meiste Plastik niemals wiederverwertet werden wird.
Nach einer neuen Recherche des amerikanischen National Public Radio (NPR) und dem Public Broadcasting Service (PBS) wissen die großen Kunststoffhersteller seit Jahrzehnten, dass es unwahrscheinlich ist, dass Plastik je in großem Umfang recycelt werden wird. Das ist nämlich teuer. „Sie hatten nie wirklich Interesse daran, wirklich viel Geld und Mühen in Recycling zu investieren, weil sie neues Material verkaufen wollen“, erklärte Larry Thomas, der frühere Präsident einer der mächtigsten Branchenverbände der Plastikindustrie, gegenüber NPR. Es lässt sich deutlich mehr Geld damit verdienen, neuen Kunststoff zu verkaufen, als das alte Material wiederzuverwenden. Aber, um weiter neues Plastik verkaufen zu können, musste die Branche ihr Verschwender-Image aufpolieren. „Eine Öffentlichkeit, die glaubt, dass Recycling funktioniert, ist weniger besorgt wegen der Umwelt“, sagte Thomas weiter. Und so wurden enorme Ressourcen statt in Recyclingforschung in ein kompliziertes „Nachhaltigkeitstheater“ umgeleitet.

Vielleicht eine der effektivsten Propaganda-Bausteine, die das Großkapital sich ausgedacht hat, um die Last der Bekämpfung der Klimakrise auf den Einzelnen abzuwälzen, ist die Idee des „CO2-Fußabdrucks“. Der Ölkonzern BP machte den Begriff Anfang der Nuller Jahre populär, mittels der „vielleicht erfolgreichsten, irreführendsten PR-Kampagne, die es je gab“, wie sie einmal bezeichnet wurde. Während uns die Öl-Unternehmen aufforderten, uns wegen unseres Kohlestoffverbrauchs zu sorgen, machten sie, ohne auf die Folgen zu achten, was sie wollen: Ein Drittel aller Treibhausgasemissionen steht in direkter Verbindung zu zwanzig großen Herstellern von fossilen Brennstoffen, wie eine Analyse führender Klimaforscher im vergangenen Jahr ergab. Chevron, Exxon, BP und Shell sind für mehr als zehn Prozent der Klimaemissionen der Welt seit 1965 verantwortlich – aber uns hat man erfolgreich weisgemacht, dass wir der Grund der Umweltverschmutzung sind – und wir allein sie stoppen können. Wir müssen nur weniger fliegen und mehr recyceln, dann schafft die Erde es schon. Da ist ja auch etwas dran: Wenn es um die Klimakrise geht, muss es ein gewisses Maß an persönlicher Verantwortung geben. Wir alle müssen unseren Teil beitragen. Aber individuelles Handeln ist ein winziger Tropfen in einem stark verschmutzen Ozean. Für entscheidende Veränderung ist ein Systemwandel nötig. Vor allem müssen sich unsere gesamtgesellschaftlichen Werte wandeln. Am meisten aber frustriert mich an BPs „CO2-Abdruck“-Propaganda, wie clever sie ist. Es gibt so viel Einfallsreichtum auf der Welt – nur dass er immer für die falschen Ziele eingesetzt wird.
 
aus: https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/das-nachhaltigkeitstheater